In vielen Ländern sind die Regelungen der Beihilfe für die Kostenerstattung für kieferorthopädische Behandlungen bei Erwachsenen eindeutig: Eine Kostenerstattung kommt nur in Betracht, wenn die Erkrankung so schwerwiegend ist, dass eine kieferchirurgische Behandlung notwendig ist. Die Beihilfestellen schreiben in ihren ablehnendenden Bescheiden häufig, dass eine Kostenerstattung nur möglich ist, wenn die Erkrankung operativ behandelt werden muss. Damit fällt die konservative Behandlung von Erwachsenen durch Kieferorthopäden komplett aus der Beihilfe. Das betrifft auch häufige Erkrankungen wie zum Beispiel craniomandibuläre Dysfunktion (CMD). Die scheinbar eindeutige Rechtslage für diese Fälle ist durch ein patientenfreundliches Urteil des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 02.05.2012, Az. 2 S 2904/10) in Frage gestellt worden.“ class=“wp-more-tag mce-wp-more“ alt=““ title=“Weiterlesen …“ data-mce-resize=“false“ data-mce-placeholder=“1″ />
Geklagt hatte eine Beamtin, der ihre Zahnärzte attestiert hatten, dass eine geplante prothetische Behandlung aufgrund der Fehlstellung mehrere Zähne ohne eine vorherige konservative kieferorthopädische Korrektur nicht sinnvoll durchzuführen sei. Die Beihilfestelle verweigerte trotz vorgelegter Atteste der behandelnden Zahnärzte die Kostenübernahme. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der baden-württembergischen Beihilfeverordnung sei eine Kostenübernahme nicht möglich. Danach seien kieferorthopädische Leistungen nur beihilfefähig, wenn die behandelte Person bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe oder bei bei schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erforderten. Das sei bei der betroffenen Beamtin aber nicht der Fall. Auch das Verwaltungsgericht wies die Klage mit dieser Begründung zurück.
Der Verwaltungsgerichtshof ließ sich im Berufungsverfahren sachverständig beraten. Die Sachverständigen bestätigten die Auffassung der Zahnärzte der klagenden Patientin. Es gebe auch für Erwachsene Situationen, in denen eine kieferorthopädische Behandlung medizinisch sinnvoll und notwendig sei. Das sei eine relativ neue Entwicklung. In der Vergangenheit bei Erlass der Beihilfeverordnung sei man insoweit skeptisch gewesen und davon ausgegangen, dass derartige Behandlungen bei Erwachsenen in erster Linie kosmetischen Zwecken dienen würden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beihilfestelle verurteilt, die Kosten für die Behandlung zu erstatten und dies rechtlich so begründet: In den Fällen, in denen eine kieferorthopädische Behandlung für Erwachsene medizinisch notwendig sei, gebe es keinen sachlichen Grund, der den generellen Ausschluss von der Kostenerstattung rechtfertige. In diesen Fällen verstoße die entsprechende Regelung in der Beihilfeverordnung deshalb gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Um die Entscheidung praktisch handhabbar zu machen, hat der Verwaltungsgerichtshof vier Kriterien formuliert, die eine kieferorthopädische Behandlung erfüllen muss, um beihilfefähig zu sein:
- Es müsse ausgeschlossen sein, dass die Behandlung ästhetische Ziele verfolge.
- Es dürfe keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten geben.
- Die Zahnfehlstellungen müssten zu Folgeproblemen, zum Beispiel im Kiefergelenk führen und
- die Zahnfehlstellungen müssten erst im Erwachsenenalter erworben worden sein.
Unmittelbare Geltung hat dieses Urteil nur für den Fall der betroffenen Beamtin. Mittelbar wirkt es sich in Baden-Württemberg aus, weil sowohl die Beihilfestellen als auch die Verwaltungsgerichte dort davon ausgehen können, dass der Verwaltungsgerichtshof in einem ähnlichen Fall genauso entscheiden wird. Ob die juristische Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg die Richter auch in anderen Ländern mit der gleichen Regelung in der Beihilfeverordnung überzeugt, werde ich jetzt ausprobieren.
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