Die Beschwerdeführerin beantragte beim Amtsgericht Beratungshilfe nach dem Beratzungshilfegesetz, um sich mit einem Widerspruch gegen die Kürzung von Arbeitslosengeld II zu wenden. Die Beratungshilfe wurde ihr u.a. mit der Begründung versagt, dass ein vernünftiger Ratsuchender ohne anwaltliche Hilfe Widerspruch eingelegt hatte, es sei der Beschwerdeführerin zumutbar, bei der Widerspruchsbehörde vorzusprechen und deren kostenlose Beratung in Anspruch zu nehmen, auch wenn diese mit eder Ausgangsbehörde identisch sei. Der Bescheid werde im Widerspruchsverfahren von Amts wegen überprüft, ohne dass es rechtlicher Ausführungen zur Begründung bedürfe.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht hat diesen Beschluss des Amtsgerichts auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hin aufgehoben und zur ernuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit, wonach eine weitgende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten auch im außergerichtlichen Rechtsschutz geboten ist. Vergleichsmaßstab ist das Handeln eines Bemittelten, der bei der Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die Kosten vernünftig abwagt. Ein vernünftiger Rechtsuchender darf sich unabhängig von Begründungspflichten aktiv am Verfahren beteiligen. Für die Frage, ob er einen Anwalt hinzuziehen würde, kommt es insbesondere darauf an, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte brauchte oder selbst dazu in der Lage ist. Im vorliegenden Fall benötigte die Beschwerdeführerin fremde Hilfe wegen eines rechtlichen Problems, das zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine höchstrichterliche Klärung erfahren hatte.
Entgegen dem Beschluss des Amtsgerichtes kann es der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden, den Rat derselben Behörde in Anspruch zu nehmen, deren Entscheidung sie im Widerspruchsverfahren angreifen will. Auch bei einer organisatorisch getrennten und mit anderem Personal ausgestatteten Widerspruchsstelle entscheidet dann dieselbe Ausgangs- und Widerspruchsbehörde über die Leistungen der Beschwerdeführerin. Es besteht die abstrakte Gefahr von Interessenkonflikten, die die beratungsbedürftige Beschwerdeführerin selbst5 nicht durchschauen kann. Aus Sicht der Rechtsuchenden ist der behördliche Rat nicht mehr dazu geeignet, ihn zur Grundlage einer selbständigen und unabhängigen Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte im Widerspruchsverfahren zu machen.
Auch wenn sich im Einzelfall ein objektiver Mehrwert anwaltlicher Beteiligung gegenüber behördlicher Beratung nicht voraussagen lässt, handelt es sich bei einer zusätzlichen und voin außen kommenden Durchsetzungshilfe im Widerspruchsverfahren grundsätzlich um eine geeignete Maßnahme zur Effektivitätssteigerung des Verfahrens.
Dies ist insbesondere wegen des existenzsichernden Charakters des Arbeitslosengeldes II von Bedeutung. Wegen der grundsätzlich zeitverzögernden Wirkung des Vorverfahrens und seiner Verbindung zum Klageverfahren ist auf eine möglichst effektive Gestaltung des Verfahrens zu achten.
Der fiskalische Gesichtspunkt, Kosten zu sparen, kann nach den dargestellten Gründen nichts als sachgerechter Rechtfertigungsgrund zur Versagung der Beratungshilfe angesehen werden.
Quelle: Bundesverfassungsgericht- Pressemitteilung vom 18. Juni 2009 über den Beschluss vom 11. Mai 2009